„Rituale lassen sich als symbolische Techniken der Einhausung definieren. Sie verwandeln das In-der-Welt-Sein in ein Zu-Hause-Sein. Sie machen aus der Welt einen verlässlichen Ort. Sie sind in der Zeit das, was im Raum eine Wohnung ist. Sie machen die Zeit bewohnbar. Ja, sie machen sie begehbar wie ein Haus. Sie ordnen die Zeit, richten sie ein!“ (Evolve)
…für eine Wieder-Verbindung mit der großen natürlichen Ordnung!
Rituale begleiten die Menschheit vermutlich seit ihren Anfängen. Archäologische Funde aus der Jungsteinzeit sowie altes Brauchtum aus spät christianisierten Regionen geben uns Hinweise darauf, wie frühe Rituale ausgesehen haben könnten. Diese Spuren lassen erahnen, dass Rituale schon immer ein zentraler Bestandteil menschlichen Lebens waren. Doch ist es unmöglich, mit Sicherheit zu sagen, wie beispielsweise die keltischen Jahreskreisrituale tatsächlich gefeiert wurden. Und das macht auch gar nichts, denn Rituale brauchen immer den Bezug zu dem Heute, brauchen einen direkten Weltbezug!
Der Begriff „Ritual“ ist in unserer modernen Gesellschaft einerseits in den letzten Jahren wieder recht populär geworden, wird andererseits aber sehr verwässert und größtenteils auch sehr beliebig verwendet, dabei geht die eigentlichen Bedeutung und Tiefe von Ritualen verloren und es kommt zu einigen Missverständnissen!
Um den Begriff „Ritual“ in unserer heutigen Zeit wieder mit Sinn zu füllen, ist es wichtig, ihn kritisch zu betrachten, ihn von bloßen Gewohnheiten oder oberflächlichen Handlungen und auch von Ideologien, esoterischer Beliebigkeit und von kultureller Aneignung abzugrenzen!
Ein Ritual, so wie ich es verstehe und in seinem ursprünglichsten Sinn, ist immer mehr als die Summe seiner Handlungen. Es folgt der Logik von Wandel und Weitung und kann als eine kleine „TransformationsReise“ betrachtet werden. Eine „Reise“, die das Potential hat, uns innerlich und äußerlich zu verändern und uns immer an das „Große Ganze“ und die große natürliche Ordnung anbindet!
Ein Ritual ist also mehr als eine bloße Handlung – es folgt bestimmten Gesetzmäßigkeiten und ist eine bewusste Anbindung an etwas Größeres, das uns transformiert und mit Sinn erfüllt. Ein Ritual ist ganz klar keine Gewohnheit- obwohl wie wir in unserem alltäglichen Sprachgebrauch oft die Gewohnheit des Zähneputzens oder Kaffeetrinkens als „Morgenritual“ bezeichnen. Auch macht eine einzelne „rituelle Handlung“ noch kein Ritual aus! Räuchern, zum Beispiel, kann als rituelle Handlung verstanden werden. Das Räuchern alleine ist aber noch kein Ritual! Auch eine beliebige Aneinanderreihung und Abfolge von mehreren rituellen Handlungen macht noch kein Ritual aus!
In unserer Sprache gibt dazu auch noch das Wort „Zeremonie“. Im Unterschied zu der Wandelkraft eines Rituals hat eine Zeremonie meist festigenden Charakter. In einer Zeremonie geht es darum zu bestärken. So kann eine Hochzeit sowohl als Zeremonie als auch als Ritual gesehen werden- aber mit sehr unterschiedlicher Intention. 🙂

Ich vergleiche ein Ritual mit einem Gefäß.
Es hat einen klaren Anfang, eine Mitte und ein Ende, die alle bewusst gestaltet werden. Dies gibt dem Ritual eine gewisse Struktur und macht es zu einem kraftvollen Werkzeug für persönliches Wachstum oder spirituelle Praxis. In diesem Sinne kann ein Ritual unsere Absichten, Emotionen oder spirituellen Erfahrungen bewahren und gleichzeitig transformieren.
„Ein Ritual ist immer ein Prozess, auf den sich sowohl Ritualleitung als auch Teilnehmende gemeinsam einlassen!“

Die Bedeutung spiritueller Sprache
Wir sind als Gesellschaft in einer spirituellen Krise, aus der eine unglaubliche Leere entsteht. Die Verführungen sind mannigfach, diese Leere mit Konsum in vielfältigster Art oder mit Ideologien und esoterischer Beliebigkeit zu füllen!
Rituale geben uns die Möglichkeit, wieder eine gemeinsame spirituelle Sprache zu sprechen. Es wird höchste Zeit, dass wir uns er-innern und wieder beginnen unsere Ur-Muttersprache zu sprechen!
Mit „Erinnern“ ist übrigens nicht ein „Zurück-zu… weil-früher-war-alles-besser“ gemeint. Wir feiern Rituale nicht, weil wir die Steinzeit schick finden oder das Keltentum in ein idealisiertes, romantisches Licht rücken wollen. Davon möchte ich mich dezidiert abgrenzen!
Er-Innern meint den Akt der Bewusstwerdung, bei dem wir uns mit den tiefen Wurzeln unseres Menschseins verbinden. Diese Wurzeln sind nicht an eine bestimmte Zeit oder Kultur gebunden, sondern tragen universelle Wahrheiten und Gesetzmäßigkeiten in sich und verbinden uns – mit dem größeren, uns umgebenden Bild, mit der uns umgebenden Landschaft, von der wir ein Teil sind.
Er-Innern bedeutet, diese Verbindung wieder bewusst zu spüren und zu leben. Es ist ein Zurückfinden zu unserer Ur-Natur, ohne dabei in Nostalgie oder Idealisierung zu verfallen.
Es ist ein Schritt nach vorn, der uns daran erinnert, dass wir Teil eines größeren Bildes sind – ein Bild, das wir mitgestalten und das uns gleichzeitig prägt.
Wir sind wie eine „Ausstülpung“ der Landschaft in der wir leben- diese Landschaft wirkt auf uns und wir wirken auf sie- es ist ein reziprokes Beziehungsgeflecht, das uns in die mehr-als-menschliche Welt einbindet.

Rituale sind kein bloß menschliches Phänomen – sie sind ein Ein- und Mitschwingen mit der großen Ordnung des Lebens.
Sie verbinden uns nicht nur mit uns selbst, sondern auch mit allen Wesen und mit der großen natürlichen Ordnung. Rituale sind so also auch eine Sprache der Resonanz, die uns daran erinnert, dass wir eingebettet sind in ein lebendiges Netzwerk, das uns alle miteinander verwebt.
Echter Wandel geschieht immer nur außerhalb der Komfortzone.
Das gilt für persönliche Entwicklung ebenso wie für spirituelle oder gesellschaftliche Transformation. Die Komfortzone ist ein Ort der Vertrautheit und Sicherheit, doch sie ist auch ein Raum der Stagnation. Um Wachstum und Veränderung zu ermöglichen, müssen wir uns in unbekanntes Terrain wagen.
Rituale sind wie Orte der Setzung, an denen bewusste Wandlung initiiert wird. Sie schaffen einen Raum, in dem wir uns auf eine neue Weise erfahren und ausrichten können. Diese Setzung wirkt dann in den Alltag hinein und beeinflusst unser Handeln, Denken und Fühlen. Rituale sind somit Brücken zwischen dem Inneren und dem Äußeren, zwischen dem Spirituellen und dem Profanen des Alltags.

Rituale sind gesellschaftlich relevant!
Ritualarbeit hat auch eine gesellschaftliche Relevanz. In einer Zeit, die oft von Hektik, Individualismus und Entfremdung geprägt ist, können Rituale eine Gegenbewegung darstellen. Sie helfen uns, die Leere zu füllen, indem sie uns wieder mit der großen natürlichen Ordnung verbinden und uns daran erinnern, dass wir Teil eines größeren Ganzen sind.
Rituale als kollektive Kraft
Rituale, die in einem kollektiven Rahmen stattfinden, können uns als ganze Gesellschaft wieder an unsere Wurzeln binden. Sie schaffen einen gemeinsamen Raum, in dem wir uns gegenseitig unterstützen, inspirieren und eine tiefere Ganzheit erfahren können. Durch diese gemeinsame Praxis können wir nicht nur uns selbst, sondern auch unsere Gesellschaft transformieren und den Wandel in die Welt tragen.
In unserer modernen Welt dienen uns Rituale (und wir in ihnen) im Sinne der „Vermehrung von Lebendigkeit“ uns wieder ganz zu (er)leben. Sie sind eine Einladung, sich auf eine tiefere Verbindung einzulassen – sowohl mit uns selbst als auch mit der Gemeinschaft und der größeren natürlichen Ordnung. Indem wir uns gemeinsam auf Rituale einlassen, können wir eine neue Form des Miteinanders gestalten, die auf Resonanz und Ganzheit basiert.

„Rituale sind Brücken zwischen dem Einzelnen, dem Kollektiv und der großen natürlichen Ordnung – sie schenken uns nicht nur persönliche Ganzheit, sondern auch die Kraft, als Gemeinschaft eine lebendige und verbundene Zukunft zu gestalten.“
