Die Natur als Mentorin.
Eine Einladung zur Wiederverbindung
Um wieder ganz zu werden, müssen wir unsere Hände und nackten Füße tief in den Boden der Tatsachen, in die lebendige Erde stecken. Es ist eine fast vergessene Notwendigkeit, die uns ruft: Lasst uns hinausgehen und uns neu verweben – mit dem Atem der Landschaft und dem feinen Gewebe der mehr-als-menschlichen Welt.
Wir sind eingeladen, die Grenzen unseres Egos weich werden zu lassen, bis wir spüren, dass wir nicht getrennt sind. Oder wie es Andreas Weber so wunderbar in Worte fasst:
„In der Natur kehren wir in die Gegenwart des beseelten Ganzen zurück, lassen uns von ihm empfangen und nehmen es in uns auf!“
In dieser heiligen Begegnung erkennen wir unseren wahren Platz: Wir sind nicht die Herren der Schöpfung, die besiegen, beherrschen oder ausbeuten müssen. Wir sind staunende Schüler in der großen Schule des Lebens.
Die Natur wieder als Mentorin zu begreifen, ist dabei keine neue Erfindung. Es ist vielmehr ein tiefes Erinnern – eine Rückkehr zu einer uralten, uns innewohnenden Weltsicht. Es ist das Wissen unserer Ahnen und die Weisheit indigener Kulturen, die uns lehrt: Wir sind Teil eines lebendigen, atmenden Gewebes, und nur in der achtsamen Hinwendung zu diesem großen Ganzen finden wir zu uns selbst zurück.

Wir alle sind als Teilhabende eines kreativen Kosmos am fortlaufenden Schöpfungsprozess beteiligt. Diese Sichtweise von einem lebendigen Kosmos hat weitreichende Konsequenzen für unser Leben. Wir erkennen, dass wir integriertes und gestaltendes Element dieses dynamischen Kosmos sind, und erfahren unsere Verbundenheit mit allem, was ist. Jeder Einzelne von uns ist Teilhabender dieses Feldes und wirkt gestaltend auf dieses ein. Alles, was wir tun oder auch nicht tun, hat Auswirkungen auf das Ganze (Hans Peter Dürr)

Der Mensch hat die Gabe in die Natur schöpferisch gestaltend eingreifen zu können.
Doch mit jeder Gabe kommt auch eine Verantwortung!
Verantwortung übernehmen zu können ist wiederum eine der Qualitäten des Erwachsenseins- des seelenzentrierten Erwachsenseins!
Von der Dringlichkeit, wieder mehr Stille und Einfaltung in unsere Welt zu holen
Eine seelenzentrierte, erwachsene Person stellt das eigene Ego in den Dienst der Seele – nicht umgekehrt. Als seelenzentrierte Menschen entspringen unsere Handlungen dem Wunsch, einen lebensdienlichen Beitrag zu schenken, im Sinne der nächsten sieben Generationen und zum Wohle des großen Ganzen.
Dieses Handeln nährt sich aus einem tiefen Gefühl des Schenkens anstelle von Leistung. Es wurzelt in einer Haltung spielerischer Neugierde und dem bewussten Zulassen von Nichtwissen, um so einen Raum für Emergenz zu öffnen – für das, was aus sich selbst heraus entstehen will.
Doch wir leben noch immer in einer Gesellschaft, die vornehmlich egozentriert ist. „Der Zwang, ein Individuum zu sein“, wie es ein lieber Kollege einmal ausdrückte, treibt uns an. In unserer westlichen Welt herrscht ein spürbares Defizit an Räumen der Stille und der Einfaltung. Wir streben nach ewigem Wachstum, nach dem „immer mehr und immer höher“, und nennen es Fortschritt. Es ist wie eine kollektive Kompensationsstrategie, die zu einer stillschweigenden Normalität geworden zu sein scheint.
Ein altes tibetisches Sprichwort, das ich bei Peter Dürr las, sagt: „Der neue Wald wächst lautlos, während der fallende Baum viel Krach macht.“
Hier und da spüren wir, wie etwas aufbricht. Es gibt Menschen, die zusammenkommen und sich fragen: „Wie lebt es sich gemeinsam?“ Sie sind bereit, diese Frage erlebend zu erforschen, um in die Antwort hineinzuwachsen.
Der Wandel lässt sich nicht aufhalten. In gewissem Maße können wir ihn aber auch nicht machen. Wir können uns für ihn öffnen, uns ihm anvertrauen – in einem tiefen Verständnis von „gemeinsam“, nicht als vereinzelte, kämpfende Individuen.
Das schenkt Vertrauen. Und es braucht Vertrauen, um ein „Nichtwissen“ zuzulassen. Vertrauen in das zyklische Leben und in den kreativen Prozess des Emergierens von Neuem um uns mit lebendigen, lebensdienlichen, nährenden Handlungen einzuweben, in eine mehr-als-menschliche und bedrohten Welt.
„Der Wald wächst leise, aber unaufhaltsam. Und wir alle sind dazu aufgerufen, in dieses Feld Mensch, das bereits seit vielen Jahrtausenden überlebt hat, Weisheit und Liebe einzuspeisen und damit unseren Beitrag zur Bewahrung der Schöpfung zu leisten.“ (Hans Peter Dürr)
Es liegt an jedem Einzelnen von uns, diese Verantwortung zu erkennen und zu übernehmen. Denn nur durch bewusstes Handeln, das sich über das „Angebundensein“ speist, können wir sicherstellen, dass wir die Natur nicht nur schöpferisch gestalten, sondern sie auch für kommende Generationen bewahren.
Sich mit dem Land und dem Landschaftskörper, auf dem wir leben, zu verbinden, sich wieder zu verbinden mit der inneren und äußeren Natur, ist für mich ein zutiefst spiritueller Weg – und dieser Weg ist not-wendig!
“Spiritualität bedeutet nicht, sich von der Welt abzukehren, sondern tiefer in sie einzutauchen” (R. Sheldrake)
In diesem Sinne wünsche ich euch eine feine Zeit und ein stimmiges, lebensdienliches tiefes tauchen!
shine your Light, spread love, stay wild,
Eure Lilian

