„Zu wissen, dass du die Erde liebst, verändert dich, aktiviert dich, sie zu verteidigen, zu schützen und zu feiern. Aber wenn du fühlst, dass die Erde dich im Gegenzug liebt, verwandelt dieses Gefühl die Beziehung von einer Einbahnstraße in eine heilige Verbindung.“
(Robin Wall Kimmerer)
In einer Welt, die sich in atemberaubender Geschwindigkeit dreht, steigt die Sehnsucht nach Verlangsamung, nach einer Rückkehr zu den elementaren Prozessen des Lebens.
Die Herstellung von Farben aus Erden und Pflanzen ist für mich weit mehr als eine alte Technik die ich wieder belebe. Die ganzheitliche Beschäftigung mit den Erden und Pflanzen in unserer Landschaft, ist für mich wie gelebte Philosophie, öffnet den Raum der tiefen Verbindung und lädt ein zu „slow craft“
Es ist eine Praxis, die mich immer wieder lehrt, die Welt mit anderen Augen zu sehen und unsere schöpferische Kraft in den Rhythmus der Natur einzubetten. Es ist eine Reise zur Wieder-ent-deckung der Verbindung zwischen unserer eigenen schöpferischen Natur und der Erde selbst.

Die Erde als Atelier: Eine Reise zu den Pigmenten
Die Farben liegen oft verborgen im Sichtbaren, direkt unter unseren Füßen und in der Landschaft. Erdpigmente sind im Grunde farbige Erden, Tone und Mineralien, geformt durch geologische Prozesse über unvorstellbare Zeiträume. Jedes Pigment trägt die Geschichte seines Ursprungs in sich: den Druck der Gesteinsschichten, den Einfluss von Wasser und die alchemistische Verwandlung durch Sauerstoff.
Bei der Gewinnung von Pigmenten aus Pflanzen sind wir selbst die Alchemist:innen, die dem Zauber beiwohnen können.
Wenn wir uns auf den Weg machen, um Farben in unserer Landschaft zu finden, begeben wir uns auf eine Schatzsuche, die uns tief mit ebendieser Landschaft verbindet. Wir lernen, die feinen Nuancen im Boden zu erkennen – ein rötlicher Schimmer an einer Böschung, ein gelblicher Ton in einem ausgetrockneten Bachbett. Wir betrachten die Pflanzenwesen aus einer anderen Perspektive. Das Sammeln ist wie ein Akt der Achtsamkeit. Es erfordert unsere volle Präsenz und eine Haltung des Respekts, denn wir nehmen nur, was die Erde uns schenkt, in kleinen Mengen und mit tiefer Dankbarkeit. Dieser Prozess ist die erste Stufe eines Dialogs zwischen Mensch und Materie, eine Geste der Hinwendung.

Von der Erde und vom Stein zur Farbe:
Ein Prozess der Verwandlung
Die Gewinnung einer Farbe aus einem Stück Erde oder aus Pflanzenmaterial ist ein meditativer, handwerklicher Prozess. Er folgt einfachen, aber tiefgründigen Schritten, die seit Jahrtausenden von Menschen praktiziert werden.
Leider ist diese uralte Technik mit der Zeit in Vergessenheit geraten. Die industrielle Herstellung von Farben, die mit ihrer scheinbaren Einfachheit und Verfügbarkeit lockt, hat viele der handwerklichen und ja, für mich auch spirituellen, Verbindungen zu den Ursprüngen der Farberzeugung verdrängt. Was einst ein achtsamer Dialog mit den Elementen der Natur war, ist heute oft ein anonymer Prozess, der uns von der Essenz und der ursprünglichen Magie der Farben entfremdet. Die Kunst, Farben selbst aus Erde, Gestein und Pflanzen zu gewinnen, birgt jedoch eine tiefe Weisheit, die uns daran erinnert, wie sehr wir mit der Natur verwebt sind.
Alles beginnt mit dem sorgfältigen Säubern des gefundenen Materials. Dieser Akt der Reinigung ist bereits eine Vorbereitung, eine Einstimmung auf das Wesentliche, das in der Materie verborgen liegt.
Erden und Steine werden dann mit Mörser und Stößel langsam zu einem feinen Pulver zermahlen.
Das entstandene Pulver wird mit Wasser vermischt. Die schweren, reinen Pigmentpartikel setzen sich am Boden ab, während leichtere Verunreinigungen aufschwimmen und abgeschöpft werden können. Dieser Reinigungsprozess, auch Levigation genannt, ist eine sanfte Methode, um die Essenz der Farbe zu extrahieren.
Das verbleibende, feuchte Pigment wird an der Luft getrocknet, bis nur noch ein feiner, hochkonzentrierter Farbstoff übrig ist. Anschließend wird das trockene Pigment auf einer Glasplatte, sogenannten Reibeplatte, mit einem Bindemittel – wie zum Beispiel Leinöl, Eigelb oder Gummiarabikum – zu einer malfähigen Farbe verrieben.
Dies ist der letzte, magische Akt der Transformation, in dem das trockene Pulver zur Farbe wird, die man in kleinen Behältnissen oder Näpfchen aufbewahren kann.

Auch Pflanzen können uns wunderschöne Farben schenken– von manchen zarten Blüten bis zu kräftigen Wurzeln. Die sogenannten Saftfarben, oder auch Blütentinten genannt, sind relativ einfach herzustellen – oft wird man allerdings überrascht von der Farbe, die sich ganz anders zeigt als in der Blüte.
Um aus diesen Saftfarben Pigmente zu gewinnen, braucht es einen alchemistischen Prozess, der die Farbpigmente aus der Flüssigkeit bindet.
Diese Fertigkeit Pigmente herzustellen, ist für mich wie eine bewusste Entscheidung, dem Material und dem Prozess die Zeit zu geben, die sie benötigen. Es ist für mich wie eine leise Gegenbewegung zur Massenproduktion und zum schnellen Konsum. Wenn wir Farben aus Erde und Pflanzen herstellen, trete ich immer wieder aufs Neue in diese besondere langsame Welt ein!

- Verbindung statt Entfremdung: Wir kennen die Herkunft unserer Materialien. Die Farbe auf dem Papier ist nicht länger ein anonymes Produkt, sondern ein Fragment einer Landschaft, die wir berührt und deren Geschichte wir erfahren haben. Diese Verbundenheit mit der natürlichen Welt und insbesondere mit unserer Landschaft spiegelt sich in der Verbundenheit zu uns selbst wider.
- Gelebte Nachhaltigkeit: Erd- und Pflanzenpigmente sind, wenn sie achtsam gesammelt werden, eine der umweltfreundlichsten Farbquellen. Sie sind ungiftig, lokal verfügbar und vollständig biologisch abbaubar. Diese Praxis ehrt die Kreisläufe der Natur und ist ein Ausdruck unserer Verantwortung als schöpferische Wesen.
- Die Schönheit des Unperfekten: Natürliche Pigmente besitzen eine Lebendigkeit und feine Variationen. Leichte Körnigkeit oder ungleichmäßige Töne sind keine Fehler, sondern Zeichen ihrer authentischen Herkunft – für mich immer wieder ein erfüllender Ausdruck der wilden, ungezähmten Schönheit der Erde selbst.
Die Kunst des langsamen Gestaltens mit Erd- und Pflanzenfarben ist eine Einladung, deine Verbindung zur natürlichen Welt zu heilen und zu vertiefen. Sie lehrt uns, dass die größte Schönheit oft in den einfachsten, ursprünglichsten Dingen verborgen liegt – und darauf wartet, von unseren geduldigen Händen ans Licht gebracht zu werden.
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